Wir bedanken uns bei Frau Fischer, unserem Mitglied des Forums zur Talentförderung, für den Einblick in ihren unternehmensübergreifenden Erfahrungsschatz hinsichtlich der Azubi-Gewinnung.
Gastautorin: Iris Fischer, Thema: Unternehmensübergreifender Azubi-Erfahrungsschatz
Auszubildende suchen und finden leicht(er)gemacht
Seit Jahren stelle ich fest, dass „Auszubildende suchen und finden“ in den meisten Unternehmen hochemotional und mit hohem Problemdenken einhergeht. Die Corona-Pandemie verändert zusätzlich die Bedingungen, da Betriebsbesichtigungen oder Azubi-Tage nicht stattfinden konnten und Ausbildungsmessen virtuell veranstaltet wurden, sofern sie nicht ersatzlos ausfielen.
Was blieb und anhält: ab September eines jeden Jahres versichern sich Betriebsrät:inn:en, Ausbilder:inn:en und Führungskräfte gegenseitig, dass es kaum gelingen werde, die gewünschte Anzahl Azubis und auch noch in der gewünschten „Qualität“, für das Folgejahr zu finden. In jedem Frühjahr erneut das Bangen und Unken: noch Plätze frei – wir werden diese nicht besetzen können!
Relativierende Beobachtungen
Gegen dieses sich – selbst-beflügelnde, kontinuierlich laufende Stressrad, möchte ich Ihnen einige erleichternde Argumente bieten:
- Viele junge Menschen und deren Eltern wissen sehr genau, dass sie sich in der 8. oder 9. Klasse noch nicht sicher auf einen Beruf festlegen können – sie entscheiden nach reiflicher Abwägung spontan gegen Ende der Schulzeit, wie es schulisch oder beruflich weitergehen soll.
- Mancher Ausbildungsvertrag, der sehr früh geschlossen wurde, wird vom Azubi und dessen Eltern vor Antritt der Ausbildung gekündigt, da in der Zwischenzeit ein erstrebenswerteres Berufsziel erkannt wurde.
- Unternehmen, auch kleinere unbekanntere Mittelständler, die mit der passenden Strategie und im Wissen um ihre Attraktivität an die Findung von Auszubildenden herangehen, finden auch im Juni-Juli-August eines Jahres noch passende und interessante Auszubildende.
- Oftmals sind später gefundene Azubis sogar passender, da sie sich sorgfältiger überlegen, welche Ausbildung in welchem Unternehmen sie beginnen.
- Es herrscht ein Azubi-gesteuerter-Markt: schlaue Azubis und deren Eltern wissen dies, und streben nicht nach frühzeitiger (Schein)Sicherheit, sondern nach größtmöglicher Passung.
Reale Fakten & Fallstricke bei der Azubi-Suche
Während bekannte Unternehmen mit großen Namen meist zu viele Bewerbungen erhalten, müssen sich kleine und mittlere Unternehmen tatsächlich um Auszubildende bewerben.
Es sei denn, sie wären die einzige Option im Umkreis von vielen Kilometern oder setzten auf die Fortsetzung von Familientraditionen. Beides ist von Vorteil, sofern die Passung der Auszubildenden über „kurzer Arbeitsweg“ und „ich fahr mit dem Papa mit“ oder „Tante Gusti hat so nette Kolleg:inn:en“ hinausgeht und sich mit den Anforderungen des Ausbildungsberufs und den Erwartungen des Unternehmens deckt.
Üblicher Ablauf um Auszubildende zu finden
Gewöhnlich sind es definierte Prozesse oder eingespielte Abläufe, von der Personalanforderung über die Genehmigung, die Ausschreibung und die Interviews bis zum Onboarding: Eine vorhandene Stellenbeschreibung wird der Personalanforderung angehängt, die Ausschreibung der letzten Jahre mit dem neuen Datum versehen, und los geht’s: Die Personalabteilung organisiert und administriert, die Auszubildenden werden interviewt und es wird entschieden.
Führt dies zum gewünschten Erfolg? – Falls ja: weshalb dann die jährlich erneuten Bedenken und Sorgen? Falls nein – nachfolgend ein paar hilfreiche Überlegungen.
Profiling von Azubis
Am Anfang steht das erneute Profiling im gemeinsamen Workshop, von Repräsentanten aus HR, Ausbildern, Fachabteilungen, aktuellen und ehemaligen Auszubildenden, der Jugendvertretung und evtl. des Betriebsrats. Zur Reflektion empfehlen sich beispielweise folgende Fragen:
- Wie sieht die Ausbildung bei uns konkret aus?
- Welche Abteilungen werden durchlaufen?
- Was wird in Kooperationsbetrieben erlernt?
- Was soll am Ende der Ausbildung in welcher Intensität beherrscht werden?
- Welche Erwartungen haben wir zusätzlich während und nach der Ausbildung an unsere Azubis?
- Welche Vorlieben und persönlichen Eigenschaften sollte ein Azubi besitzen, um dies nicht nur zu bestehen, sondern mit Freude und gut zu absolvieren?
- Wo bewegen sich junge Menschen real oder virtuell, die genau dieses Profil besitzen und die wir damit begeistern können?
- Wie erreichen wir deren Aufmerksamkeit, was spricht sie an?
- Welche Mitbewerber agieren mit ähnlichen Angeboten in den selben realen und virtuellen Räumen?
- Was unterscheidet uns von diesen, was sind unseres „USPs“ und worin heben wir uns von anderen Ausbildungsangeboten ab?
- Was gefällt unseren jetzigen und ehemaligen Azubis besonders gut an unserem Unternehmen und der Ausbildung hier?
Passen unsere Aussagen über uns selbst? Wie ist die Außenwirkung auf potenzielle Azubis?
Der Knackpunkt in der Beantwortung dieser Fragen liegt darin, wer sie beantwortet. Gewöhnlicherweise werden HR, Ausbilder bzw, Ausbildungsverantwortliche gemeinsam ein Bild des Unternehmens und der Ausbildung zeichnen, das bei manchem aktuellen Azubi Erheiterung auslöst. Sei es, weil die Selbstzuschreibungen extrem geschönt sind, komplett neben den Erfahrungen der Azubis liegen, oder sich die Vorgenannten an einer Art „Jugend-Slang“ versuchen, die aber trotz Bemühungen für Jugendliche nicht ansprechend ist.
Tipp: Besser sind konzertierte Aktionen auf Basis der Erfahrungen aller Beteiligten
Die besten Ergebnisse werden durch ein Azubi-Recruitment-Team, bestehend aus Ausbildern, Personalabteilung, Jugendvertretung bzw. Betriebsrat und aktuellen sowie bisherigen Azubis erzielt. Sie alle gemeinsam können beurteilen, wie Ausbildung in diesem spezifischen Kontext tatsächlich aussieht und welche Menschen hierfür gefunden werden sollen.
Dies in einem gemeinsamen Workshop, oder asynchron durch Beantwortung einer kleinen Umfrage, und anschließender gemeinsamer Arbeit an Profil und Stellenausschreibung, bietet die höchste Trefferquote ist die beste Transformation hinsichtlich der Wirksamkeit auf die Generation Y und Z.
Tipps und Empfehlungen was zu erarbeiten ist:
- Für wen ist dieser Ausbildungsberuf wirklich geeignet?
- Wer passt am besten in dieses Unternehmen und dieses Team?
- Was wird hier nicht geboten, aus welchem Grunde und wie wird dies kompensiert?
- Welchen Erwartungen potenzieller Azubis wird entsprochen, was gibt es darüber hinaus zu erwähnen?
- Was ist an dieser Ausbildung in diesem Team besonders ansprechend?
- Wie geht’s hier nach der Ausbildung gewöhnlich weiter?
- Wer wurde wann übernommen und hat jetzt welche Aufgaben inne?
Interviews mit aktuellen und ehemaligen Azubis zur Informationsgewinnung und Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität
Hilfreich zur Beantwortung dieser Fragen sind auch Interviews mit Auszubildenden in der Mitte und am Ende ihrer Ausbildung, sowie nach einigen Jahren im Unternehmen. Diese erfolgen schriftlich oder verbal, durch die Ausbilder, die Personalabteilung oder andere Auszubildende. Neben der Azubi-Gewinnung und Qualitätssicherung der Ausbildung, können diese Interviews auf Messen, auf der Homepage, in Mitarbeitermagazinen, in Ausbildungsbörsen etc., im Idealfall zur Erhöhung der Sichtbarkeit und Verbesserung des Arbeitgeber-Images genutzt werden.
Azubi-Projekt Handy-Video: Was wir lernen, weshalb wir gerne hier sind?
Multipel nutzbar und attraktivitätssteigernd werden Azubi-Interviews, wenn ein Video dazu gedreht wird, das über Facebook und ähnliche Kanäle geteilt werden kann. Dies erfordert keinen extremen Aufwand oder professionellstes Agieren durch die Marketingabteilung! Im Gegenteil – je authentischer dieses Azubi-Projekt von Azubis für Azubis gestaltet wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu passenden Bewerbungen führt. Dies schließt eine Beratung durch Marketingexperten nicht aus, die Gestaltungshoheit und Durchführung sollte jedoch bei den Auszubildenden liegen.
Wo halten sich potenzielle Bewerbung für eine Ausbildung auf?
Auch diese Frage beantworten am besten die aktuellen Auszubildenden. Sie wissen, welche Medien und Orte ihre Alters- und Interessensgruppe bevorzugt.
Die Schaltung in der lokalen Print-Presse, dem Lokal-Radio oder der „Aushang am Werkstor“ sind flankierende Maßnahmen, der Fokus sollte jedoch auf den virtuellen und realen Aufenthaltsorten der Zielgruppe liegen.
Tipp: Denken Sie auch an den Wahrnehmungskreis der Eltern und Lehrer:innen, und der Agentur für Arbeit. Diese hat mit Berufsberatung in Schulen und Agentur ebenfalls ein hohes Potenzial und Interesse, Sie zu unterstützen.
Empfehlungen zur Auswahl von Auszubildenden
Die Auswahl im weiteren Verlauf wird aus Datenschutzgründen nicht im großen Kreis erfolgen. Ein Kennenlernen von aktuellen Azubis und potenzieller Azubis ist dennoch arrangierbar, wenn die Vorauswahl getroffen ist und das Erstinterview erfreulich verlaufen. Ein bis drei Probetage, um sich gegenseitig etwas kennenzulernen und sowohl Eignung als auch Interesse für den Ausbildungsberuf und Ausbildungsplatz zu verifizieren, sind hilfreich, um Enttäuschungen und Fehlentscheidungen auf beiden Seiten zu reduzieren.
Ich hoffe, Sie haben hier einige Anregungen erhalten, damit Ihre Azubi-Rekrutierungs-Aktionen künftig noch erfolgreicher verlaufen!
Ich wünsche Ihnen viel Elan und Freude bei der Umsetzung dieser Tipps, um gemeinsam mit Ihrem Team die passenden Auszubildenden für Ihr Unternehmen ansprechen und gewinnen können.