Gastartikel: Oliver Gassner
Damit wir verstehen, was die Herausforderung beim produktiven Arbeiten in unserer digitalen Gegenwart ist – egal ob im Büro, im Zug oder am heimischen Küchentisch – denn ein Office ist es dort oft nicht – schauen wir uns doch mal an, wie ein exemplarischer unproduktiver Arbeitstag aussieht:
Auf dem Weg von der Eingangstür des Büros zum Schreibtisch leert Paul sein Postfach. Dessen Inhalt stapelt er auf das Material, das von gestern noch im Eingangskorb liegt.
Noch während Paul seine E-Mails durchsieht, läuft Carla an seinem Schreibtisch vorbei: “Kommst du mit?” Ach, ja. Das Meeting. Hatte ich da nicht Notizen? Wo sind die jetzt? Nein, wollte ich nur. Aber im Meeting wird eh alles nochmal durchgekaut, das reicht, wenn ich es dort höre. Nur eine Stunde später ist jetzt zwar klar, was wir wollen, aber noch lange nicht, wer was macht.
Zurück im Büro prüft Paul seine E-Mail-Inbox. 200 ungelesene, ein Dutzend neue, 400 geflaggte E-Mails. Er öffnet ein paar davon, flaggt oder markiert sie als ungelesen. Währenddessen kommen neue E-Mails an, Kollegen treten an seinen Schreibtisch und möchten unterschiedliche Dinge von ihm. Er notiert ihn auf seinen Zettel und wirft es in den Eingangskorb – er braucht jetzt dringend einen Kaffee. Auf dem Weg zum und vom Automaten wollen fünf Kollegen erneut etwas von ihm. Zwei Erinnerungen notiert er sich dann am Schreibtisch, Zettel, Inbox, Zack, Zack. Drei wichtige Informationen hat er vergessen. Na ja. Die melden sich sicher wieder, funktioniert ja meistens.
Paul hat jetzt noch eine Viertelstunde bis zur Mittagspause. Was kann er denn in der Zeit schaffen? Während er immer noch die Projekt-Todo-Listen durchsieht, nimmt er eine Stimme wahr: “Kommst du mit essen?” fragt Rüdiger?
Nach dem Mittagessen ist Paul immer so platt. Er löscht ein paar E-Mails, neben den direkten E-Mails sind viele CC-E-Mails eintroffen. Aber da ist auch schon das nächste Meeting. Der Hauptreferent ist verspätet, wir warten und Paul ärgert sich darüber, nichts zum lesen dabei zu haben, um die Zeit zu überbrücken. Feierabend. Der Eingangsstapel ist gewachsen, und Paul hat jetzt mehr geflaggte und ungelesene E-Mails als noch am Morgen.”
Kommt dir die Skizzierung dieses unproduktiven Arbeitsalltag eventuell bekannt vor? Nicht genau so, aber sehr, sehr ähnlich sah das Protokoll eines meiner Kunden aus, welches er von einem Arbeitstag gemacht hatte.
Es gibt natürlich ein paar Aspekte, die weniger ins Selbstmanagement fallen, aber daran angrenzen. Beispielsweise die Frage, wie Meetings strukturiert sind, wann man ungestört bleibt oder wie Aufgaben übergeben werden.
Produktivität 4.0: Stressfrei produktiv in Fokus und Flow
Es gibt ein paar Tipps, um produktiver und stressfreier zu arbeiten:
Tipp Nr. 1: Arbeite von “Null”
Am Ende des Arbeitstages sollten alle Eingangskörbe – analoge und digitale – leer sein. Das heißt nicht, dass alles, was drin war, erledigt sein muss. Aber niemand würde auf die Idee kommen, Briefe, die man erst später lesen oder abarbeiten will, wieder zuzukleben und in den Briefkasten zurückzustecken. Das sollte man auch weder mit einem Papiereingang – es ist ja auch ein Ein-Gang und kein Rundlauf – noch mit dem Eingangsbereich der E-Mails machen.
Der Posteingang wird nicht zum Rundlauf, wenn man entscheidet,
- – ob man etwas in zwei Minuten oder weniger auch selbst und sofort tun kann, statt es zu delegieren
- – was genau für diese Aufgabe der erste sinnvollste Schritt ist
- – und wann, wo, wie man an diesen Schritt erinnert werden möchte.
Die Struktur der Vorgehens kann so aussehen:
- Termine in den Kalender
- zu beantwortende E-Mails in einen Ordner “Beantworten”
- Artikel ausgedruckt in eine Mappe ‘zu lesen’ (die kann man zum Meeting mitnehmen, falls sich das verzögert…)
- …
Tipp Nr. 2: Sortiere Aufgaben nach POW!
Hä? Ok, Entschuldigung: POW steht für Person, Ort, Werkzeug, hierzu ein paar Beispiele:
- Alles was ich mit dem Chef besprechen muss (Person, andere Beispiele: Partner:in, Montagsbesprechung)
- Alles, was ich als Information zu Hause benötige (Ort, andere Beispiele: Büro, Baumarkt, Geschäftsreise)
- Alles, was ich (egal wo, solange ich nur online bin) am Laptop erledigen kann (Werkzeug)
Gut, wir könnten diskutieren, ob die “Montagsbesprechung” ein Ort oder eine Person(engruppe) ist, ich habe hier die menschliche Perspektive. Das Ziel muss verfolgt werden:
EINE Stelle zu haben, an der ALLES steht, was in der Montagsbesprechung aus der eigenen Sicht besprochen werden soll, dann …
Wenn wir wie oben im “Kopfstandbei” unsere Aufgaben nach Projekten sortieren, müssten wir ja immer alle Projekte durchgehen und herausfinden, welche der Aufgaben die relevanteste ist. Das ist kaum produktiv.
Tipp Nr. 3: Erster sichtbarer Schritt
Wenn Aufgaben unklar bleiben, dann meist, weil sie als Ziel oder Zwischenergebnis formuliert sind und nicht als “erster sichtbarer Schritt”. Warum diese komische Formulierung?
Nun, es geht konkret darum, aufzuschreiben, was ich als Erstes hier tun kann oder muss. Muss ich vorher noch etwas anderes tun, ist dieses ‘Vorher’ eben der erste Schritt. Wenn ich “Buch lesen” nicht machen kann, weil ich das Buch noch nicht habe, ist “Buch online kaufen” oder “Anruf Stammbuchhandlung wg. Buchbestellung” der erste Schritt.
Reicht “Buch kaufen” nicht? Nein, denn “kaufen” kann ich nicht sehen, wo oder wie konkret kaufe ich? Was sieht eine dritte Person von meinem konkreten Tun? Diese “sichtbaren Tun-Worte” sind essenziell, um “Verschieberitis” zu bekämpfen. Wenn ich die Aktion klar vor mir sehe, fällt es mir leicht, sie auch umzusetzen. Also nicht “Artikel schreiben”, sondern zuerst “Stichworte notieren zu Einstiegsartikel Fokus-Flow”.
Tipp Nr. 4: Bessere Meetings
Wenn wir nun diese Tipps auf Meetings anwenden wird klar, dass im Meeting immer festgelegt werden sollte, welche konkrete Information von wem für das nächste Mal zu beschaffen ist oder welches Zwischenergebnis von wem umzusetzen ist. Dass bei Meetings nur wirklich Betroffene anwesend sein sollten und es ohne Agenda nicht geht und oft in 30 Minuten im Stehen mehr herauskommt als in 60 Minuten im Sitzen, das brauchen wir hier nicht zu wiederholen, haben es aber hiermit dennoch nochmal reingeschmuggelt.
Tipp Nr. 5: Fokus und Flow
Was wir nun haben sind nach Arbeitsumfeldern (POW!) sortierte Aufgabenlisten. Ich kann immer klar sehen:
Oh, Chef ist zu sprechen, also …
Oh, ich bin im Büro, also…
Oh, mein Laptop ist hier und online, also….
….und kann so mit ganz neuem Fokus “passende” Aufgaben abarbeiten.
Der Flowzustand, also das “Arbeiten wie geschmiert”, zeichnet sich dadurch aus, dass wir uns weder unterfordert fühlen noch überfordert. Das erreichen wir eben genau durch die Formulierung und Abarbeitung der “ersten sichtbaren Schritte”, Unklarheiten und “Ich muss aber erst noch”- Stolpersteine sind uns nicht mehr im Weg.
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Tipp Nr. 6: Was es noch braucht
Ja, wir brauchen noch einen “Parkplatz” für ausgesandte Anfragen, bei denen wir auf Echos warten. Wir brauchen einen Mechanismus, um das oben genannte System zu pflegen und einen Kompass, der dafür sorgt, dass wir die richtigen Projekte in eine sinnvolle Richtung bewegen. Und ein “Raster”, nach dem wir entscheiden: Was mach ich im aktuellen Zusammenhand (POW) als Nächstes?
Letzteres ist überraschend einfach: Ich muss mich nur fragen “Was von all dem, was ich hier mit der jetzt verfügbaren Zeit tun kann, fühlt sich gerade am wichtigsten oder dringendsten an?“ Die Antwort darauf ist meist einfacher, als man denkt.
Tipp Nr. 7: Einrichten eines Mini “Fokus-Flow-System
Legen Sie in einem Tabellenprogramm eine Tabelle mit 3 Spalten an. Oder auf (kariertem oder liniertem) Papier.
Bennenen Sie die drei Spalten wie folgt:
In | 1. Schritt | POW?
Empfohlene Vorgehensweise:
- In der ersten Spalte notierst du dir, was dir einfällt, was noch zu erledigen ist. Und natürlich alles aus jeder Inbox. (Das wird dann von dort entfernt, und z.B. in ein “Lager” z.B. mit dem Namen “In Arbeit” bewegt.)
- Dauert es weniger als zwei Minuten und hat es keine Folgeaktion: Selbst und sofort erledigen und gleich wieder löschen.
- In der zweiten Spalte den jeweils ersten Schritt mit einem Tunwort eintragen, das eine sichtbare Handlung beschreibt
(schreiben, lesen, E-Mail senden, Anrufen, Mindmappen. “Nachdenken” kann man nicht sehen, “Einladen” übrigens auch nicht.). - In der dritten Spalte, mit wem (P-erson), wo (O-rt) oder mit welchem W-erkzeug, die Aktion stattfindet.
Beispiele: zu Hause, Besorgungen/Stadt, Büro, Laptop, Smartphone, Partner:in, Chef, Rüdiger. Es ist ein bisschen tricky, nicht zu viele und nicht zu wenige dieser POWs zu haben. Ausprobieren! - Nun kannst du die Tabelle nach Spalte 3 sortieren und in dem POW-Sektor arbeiten, in dem Sie sich befinden. Meist müssen sie nicht lang überlegen, welche Aufgabe jetzt passt.
- Ggf. nächste Aktion und POW anpassen, wenn die Zwischen-Aufgabe erledigt ist.
- Wenn du was herausgeschickt hast und auf Echo wartest, ist der POW-Eintrag “Echo”. So hast du eine Liste für alle Dinge, die andere noch beantworten und zuliefern müssen.
- Spalte 1 kannst du nun durch ein Ergebnis ersetzen, das du erreichen willst(Artikel für XY fertig, Geburtstag AB organisiert…)
Über den Autor dieses Artikels:
Oliver Gassner lebt nahe des Bodensees und beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit der Vermittlung von stressfreier Produktivität in Seminaren und Einzelcoachings. Weiter organisiert er (Open-Space-)Networking-Events und zeigt Menschen, wie sie mit XING und Linkedin, beispielsweise neue Kooperationspartner oder Kunden, einen Job oder Mitarbeitende finden.
Kostenloses Umsetzungsangebot: Oliver Gassner gibt dir gerne auf deine Situation zugschnitten, weitere Einblicken in seine, seit über 10 Jahren eingesetzten Selbstmanagement-Methodiken. Vereinbare hier einen unverbindlichen und kostenlosen Onlinetermin, um zu klären, ob diese Systematik für deine individuelle Anforderung passt.